Die Esche ist mehr als nur ein guter Besenstiel
Nach einer langen Durststrecke traf sich das Architektur Forum Ostschweiz kurz nach den Corona Lockerungen erstmals wieder zu einem Anlass. Die Location der neuen Cafeteria im Ekkharthof in Lengwil passte zum Jahresmotto „Schönheit“. Die Organisation Lignum setzt sich für die Verwendung von Holz als Baustoff ein und führt alljährlich einen Anlass mit dem Architektur Forum Ostschweiz durch, um die Architekten und Planer für den Baustoff Holz zu begeistern. Das Einzugsgebiet des interkantonalen Architektur Forum reicht vom Thurgau über das Appenzell bis ins Bündnerland, wobei das Wirken im Kerngebiet St. Gallen stattfindet. Das Architektur Forum Ostschweiz will die Auseinandersetzung, den Austausch und die Meinungsbildung zum Thema Baukultur fördern und führt regelmässig Veranstaltungen zu einem Motto durch, das in diesem Jahr „Schönheit“ ist. Das Treffen in Lengwil war kurz nach der Corona Krise für beide Organisationen eine Art Re-Start. Rico Lauper vom Architektur Forum Ostschweiz, Erwin Rebmann, ehemaliger Geschäftsführer der Lignum Holzkette St. Gallen und Simon Biegger, Geschäftsführer von Lignum Ost, konnten beim Anlass in der neuen Cafeteria vom Ekkharthof über 50 Vertreter der Baubranche begrüssen.
Das Leben aus einer anderen Perspektive
Walter Hugentobler, Vereinspräsident vom Ekkharthof stellte die Heil- und Bildungsstätte vor, deren städtebauliche Anlage einer Wagenburg nachempfunden ist, die er heute als Akropolis von Lengwil bezeichnet. Auf dem Ekkharthof werden über 200 Menschen mit einem bestimmten Unterstützungsbereich von rund 300 Mitarbeitenden betreut, wobei der jährliche Gesamtaufwand rund 23 Millionen Franken beträgt. Der Ekkharthof-Verein ist Träger der Einrichtung, wobei die Vorstandsmitglieder im strategischen Bereich tätig sind und eine fünfköpfige Institutionsleitung den operativen Teil übernimmt. In den geschützten Werkstätten und im Landwirtschaftsbetrieb arbeiten rund 90 betreute Mitarbeitende. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die früher von der Öffentlichkeit abgeschottet wurden und in ihrer eigenen Welt lebten, sollen künftig Teil der Öffentlichkeit werden und sich dabei geschützt und geborgen fühlen. Die Architekten bekamen bei der Planung der neuen Cantina die Vorgabe, die anthroposophisch ausgerichtete Institution auch architektonisch in Szene zu setzen, damit sich die sozialpädagogische Einrichtung für den Austausch mit der Gesellschaft öffnen kann.
Das richtige Holz am richtigen Standort
Lukas Imhof, Chef der Imhof Architekten Zürich, stellte das 28x15x4 Meter grosse und offen wirkende Bauprojekt vor, das er grösstenteils mit dem Architekten Charles Wilkeding plante. Die neue Cafeteria hat im Innenraum 120 und auf der überdachten Terrasse weitere 100 Sitzplätze. Bei der Umsetzung der Vorgaben entstand ein Gebäude, das komplett aus Eschenholz gefertigt wurde. Der Vorschlag, Esche für den Bau einzusetzen, kam von den Bauingenieuren. Eschenholz kann Zugkräfte gut aufnehmen und hat wie andere Laubhölzer Festigkeitswerte, die über jenen der heute am häufigsten eingesetzten Konstruktionshölzer aus Nadelholz liegen. Lange wurde Eschenholz aufgrund der hohen Festigkeit und Elastizität mehrheitlich für Werkzeugstiele, Sportgeräte oder Dielenböden verwendet, als Konstruktionsholz ist die heimische Baumart bisher noch wenig bekannt. Vor allem die Querdruck- und die Querzugfestigkeit, aber auch die Schub- und die Zugfestigkeit parallel zur Faser liegen wesentlich über dem Niveau der Nadelhölzer. Imhof zog die Esche aber auch aus ästhetischen Gründen der vergleichbaren Buche vor. Gut sichtbar heben sich bei der Verbreiterung der Stützen dunkle Leimfugen vom hellen Holz ab und zeigen die typische Beschaffenheit des Materials. Solche Strukturen wären weder in Beton noch Stahl möglich gewesen. Simon Biegger bemerkte, dass das für den Bau verarbeitete Holz im Schweizer Wald in 20 Minuten nachwächst, obwohl die Esche etwas langsamer wächst als andere Baumarten. „Das ist genau das richtige Holz für diesen Standort“, sagte Lignum Ost Präsident Paul Koch, der erklärte, dass die feuchte Region auf dem Seerücken ein Eschenholzgebiet ist.
Es wurde mehr Holz verbaut wie nötig gewesen wäre
Die Cafeteria wurde auf ein massiv gebautes Untergeschoss gestellt, in dem die Grossküche untergebracht ist. Der Innenraum der darüber liegenden Cantina ist symmetrisch aufgebaut und das Vordach gegen den Innenhof so weit heruntergezogen, dass die Terrasse überdacht wird. Die kantigen Säulen und durchgehenden Träger verlaufen von innen nach aussen und tragen auch das weit herausragende Vordach der Terrasse, das zugleich Sonnenschutz ist. Beim raumbildenden Holztragwerk wurde komplett auf feste Wände verzichtet und rundum transparente Glasflächen eingesetzt, die eine Rundumsicht auf den Innenhof, die Landschaft und den Bodensee ermöglichen. Die selbstaussteifende Rahmenkonstruktion mit den unsichtbaren und unterschiedlichen Anschlusslösungen ist eine Überlagerung von Statik und Gestaltung, wobei die Knoten zur optimalen Kraftübertragung leicht konisch ausgebildet sind. Nahezu alle Stützfüsse haben eine leicht unterschiedliche Geometrie und die Konstruktion ermöglicht die Abtragung von vertikalen und horizontalen Kräften in alle Richtungen. „Es ist nicht einfach zu sagen, was statisch nötig ist, und was nicht“, sagte Imhof.
Architekten gründeten eigene Möbelfirma
„Hier hat es mehr Holz, wie ich als Holzbauingenieur benötigt hätte“, sagte Christoph Angehrn von der Josef Kolb AG Romanshorn. Der Projektleiter erklärte besondere Herausforderungen, wie beispielsweise den konstruktiven Holzschutz. Obwohl die Vordächer das Tragwerk vor Nässe schützen, mussten die Verbindung zwischen den Stützen und dem Sichtbetonmauerwerk so konstruiert werden, dass das Regenwasser abläuft. Um die geforderte Energieeffizienz einzuhalten, wurden die linear zu den Fenster liegenden Träger doppelt ausgeführt und dazwischen gedämmt. Überbreite Fensterrahmen verhindern zusätzliche Wärmebrücken. Da die Holzstützen nach oben keine Toleranz zuliessen, mussten auch die Stahlseile sehr präzise gesetzt werden. Weil die Architekten keine Produkte fanden, die ihren Ansprüchen genügten, findet sich die Esche auch in der Möblierung wieder. Der Tisch sollte klappbar, die Stühle stapelbar und beides solide und wohnlich sein. Lukas Imhof und Carlos Wilkening entwarfen kurzerhand selber eine Möbelserie und liessen die Sitzmöbel in Behinderteneinrichtungen herstellen. Das Rohholz wird im Ekkharthof zu Platten verleimt, ehe Sitzflächen und Lehnen in der Werkstätte des Vereins Zürcher Eingliederung CNC gestützt hergestellt werden. Die Beine und die Schwalbenschwanzverbindungen kommen aus der Heimstätte Will und im Ekkharthof werden die passgenauen Teile zusammengebaut. Kantig, schlicht und robust wie die Säulen fügt sich das Mobiliar harmonisch in den Raum ein. Aufgrund der grossen Nachfrage nach den Tischen und Stühlen gründeten die beiden Architekten die Wilkening Imhof GmbH. Zu der wohnlichen Atmosphäre trägt auch die hölzerne Akustik Deckenbekleidung bei, hinter der sich vorgefertigte, ausgedämmte Deckenelemente befinden, die neben den tragenden Sparren auch Lüftung und diverse Technik enthalten. Im Dachreiter verlaufen die Luftkanäle, in denen die Frischluft oberhalb der Fenster eingeblasen und am First wieder abgesaugt wird. Jeder Anschluss, jede Leuchte und jeder Feuermelder ist so sorgfältig gefasst und ausdetailliert, dass man von der ganzen Technik kaum etwas wahrnimmt. Die durchaus gelungene Cantina steht für Wandel, Transparenz und Inklusion und ist viel mehr als nur eine Kantine. Nach einer Führung mit Lukas Imhof und Christoph Angehrn gingen die Holzbaufachleute zum gemütlichen Teil mit interessanten Fachgesprächen über und liessen den interessanten Abend über dem Bodensee ausklingen.